Gerade wusste ich's doch noch - oder - wenn Prüfungsangst das logische Denken blockiert

~am Ende des Blogs finden sie wie immer eine kleine Übung für daheim~

Seit zwei Wochen schon dreht sich alles um die kommende Mathe Schulaufgabe ihres Kindes. Es gibt kaum noch ein anderes Thema. Selbst bei Mama und Papa rauchen die Köpfe, längst vergessenes Wissen muss wieder hervorgekramt werden, um Übungsaufgaben zu verstehen, erklären zu können und irgendwie beim Lernen das eigene Kind zu unterstützen. In dieser Zeit fließen Tränen, oftmals nicht nur bei den Kindern, es wird gestritten, sich wieder vertragen. Es ist eine Berg- und Talfahrt der Gefühle zwischen völliger Verzweiflung, Erschöpfung und riesiger Erleichterung, wenn es endlich „klick“ gemacht hat.

Dann, endlich, ist der Tag der Schulaufgabe gekommen. Alle sind guter Dinge und hoffnungsvoll. Schließlich sitzt nach 3 Wochen Vorbereitung der geforderte Stoff ganz ordentlich. Doch als ihr Kind am Mittag Heim kommt, ist die Welt aus ihren Fugen geraten. Nichts ging in der Schulaufgabe, totaler Blackout, das ganze Wissen war einfach weg. Kein logischer Gedanke mehr greifbar.

Wut, Enttäuschung und Hilflosigkeit machen sich breit, denn: gestern konnte ich’s doch noch!

Eine Situation wie sie nahezu täglich in Familien mit Schulkindern vorkommt. In meiner Praxis sehe ich häufig Kinder und Jugendliche, die sich aufgrund solcher Erfahrungen entmutigt fühlen. Sie würden am liebsten alles hinschmeißen. Nicht selten höre ich Sätze wie: „macht doch eh keinen Sinn zu lernen, ich schaffs ja doch nicht“ oder “Ich check’s halt nicht, ich bin einfach zu blöd“ und viele ähnliche. Fatal, denn Lernen sollte doch eigentlich Spaß machen.

Eltern kommen zu mir und sind nicht weniger verzweifelt und hilflos. Denn sie wissen einfach nicht mehr, wie sie ihrem Sohn, ihrer Tochter, helfen können. Denn mehr als Lernen geht ja nicht, oder?

Sie kennen diese, oder ähnliche Situationen? Dann nehmen sie sich ein paar Minuten, um zu verstehen, was da passiert ist. Denn nur, wenn wir verstehen, können wir etwas verändern.

Was passiert bei einem Blackout?

Der sogenannte Blackout, ist eigentlich nichts anderes als der Not-Aus Schalter in unserem Gehirn. In Stresssituationen werden in unserem Körper große Mengen an Stresshormonen, wie z.B. Cortisol, ausgeschüttet. Das ist erstmal gut, denn es sorgt dafür, dass unseren Muskeln und unserem Gehirn eine größere Menge an Energie zur Verfügung gestellt wird, um diese Stresssituation zu bewältigen. Im Gehirn wirken diese Stresshormone unter anderem auf den Hippocampus, dieser gehört zu den Hirnstrukturen, die wir für das Abspeichern von Informationen brauchen und, um Erinnerungen wieder zum Leben zu erwecken.

Wenn nun ein paar dieser Stresshormone im Blut sind, reagiert auch der Hippocampus erstmal mit einer Leistungssteigerung, wir können uns besser konzentrieren und gezielt Informationen abrufen. Sind nun aber zu viele dieser Stresshormone unterwegs, wirken sie zellschädigend, es kommt zu irreversiblen Schädigungen, Zellen sterben ab. Um nun dieses Absterben der Zellen zu verhindern, schaltet der Hippocampus aus, komplett. Er drückt den Not-Aus-Schalter. Nervenzellen reagieren nicht mehr, Informationen werden nicht mehr weitergeleitet – Blackout!

Wir sitzen da, und alles was wir gelernt haben, ist plötzlich weg, nicht mehr abrufbar.

Das ist was bei einem Blackout passiert, doch was können wir nun tun, um genau das zu verhindern, oder in dieser Situation den Hippocampus wieder zu aktivieren?

Können wir überhaupt irgendwas tun?

Ja, wir können etwas tun. Wir können dafür sorgen, dass unser Körper aufhört, diese großen Mengen an Stresshormonen auszuschütten und somit den Hippocampus wieder dazu bringen, seine Arbeit aufzunehmen.

Wir müssen den Stress reduzieren, uns entspannen. Nun ist es natürlich viel leichter gesagt als getan, in einer Stresssituation, die eine Prüfung für viele Kinder und Jugendliche darstellt, sich zu entspannen. Die gute Nachricht an Sie als Mutter oder Vater und auch an ihre Kinder ist, es gibt Techniken und Übungen, die dafür sorgen, dass wir uns entspannen. Diese Techniken und Übungen kann man lernen. Es sind relativ leicht zu erlernende Entspannungstechniken (am Ende des Blogs gibt es eine einfache Übung zum Ausprobieren), die allerdings etwas geübt werden sollten. Diese Übungen helfen dabei, aus dem Gefühl der kompletten Überforderung herauszufinden, um an den Punkt zurück gehen zu können, an dem wir uns wieder auf unsere Aufgabe konzentrieren können.

Das ist die eine Seite der Medaille, die wir betrachten und wo wir kurzfristig, in der Situation lernen können, zu reagieren, gegenzusteuern. Die andere Seite ist, wo ist der Ursprung dieser „Überreaktion“? Warum reagiert ihr Sohn, Ihre Tochter auf eine Prüfungssituation so gestresst? Was sind die Ursachen dafür? Denn wenn wir die Ursachen kennen, können wir daran arbeiten, was in den meisten Fällen nachhaltiger ist, als ausschließlich Symptome zu bekämpfen. Denn dann ist die Gefahr da, dass man irgendwann wieder in alte Verhaltensmuster zurückfällt.

Eine weitere Möglichkeit der Stressreduktion ist, sich einmal das Lernverhalten anzuschauen. Also, wie wird gelernt?

Erinnern sie sich noch daran, als ihre Tochter, ihr Sohn angefangen hat die Welt zu entdecken? Als sie/er das erste Mal durchs Wohnzimmer gekrabbelt ist und so viele neue Sachen entdeckt hat. Alles war neu und so spannend und alles wollte entdeckt, erforscht und begriffen werden. Ihre Tochter, Ihr Sohn hatte eine grenzenlose Freude am Lernen und es konnte nie genug sein.

Leider ist unser Bildungssystem, meiner Meinung nach, weder sonderlich gehirngerecht noch kindgerecht aufgebaut. Dies führt dazu, dass viele Kinder früh die Freude am Lernen, am Entdecken verlieren. Es geht oft nur noch darum, vermeintlich langweiligen Schulstoff auswendig zu lernen, um ihn nach der Abfrage wieder zu vergessen, damit Platz für den nächsten Lernblock vorhanden ist.

Also könnten sie als Mutter oder Vater ihr Kind darin unterstützen, zumindest wieder etwas Spaß während des Lernens zu haben, oder zumindest nicht bei langweiligem Schulstoff auch noch gelangweilt am Schreibtisch sitzen, um auswendig zu lernen. Je kreativer die Lernmethoden, umso effektiver. Menschen lernen aus Erfahrungen. Wenn wir also etwas lernen, dann sollten wir dabei möglichst viele Sinne benutzen und Freude daran haben. Das was wir erleben, vergessen wir nur sehr schwer wieder, positiv sowie negativ.

Wie also kann sowas im echten Leben, im Alltag, aussehen?

Nehmen wir mal an, ihre Tochter, ihr Sohn muss das 1x1 lernen.

Sie können nun kleine Kärtchen nehmen und dort z.B. das 1 x 3 aufschreiben, sie brauchen 10 Karten und schreiben auf die erste Karte 1 x 3, auf die 2. Karte 2 x 3 usw. Nun haben sie vielleicht Treppen im Haus, dann können sie an jede Treppenstufe eine der Karten, erstmal in der richtigen Reihenfolge, befestigen. Sie können jetzt gemeinsam die Treppenstufen hinaufhüpfen, während sie das 1 x 3 aufsagen. Oder sie stoppen die Zeit, wie lang ihr Sohn, ihre Tochter braucht, um hochzukommen, um so festzustellen, dass es immer schneller wird. Seien sie kreativ, bestimmt fallen ihnen oder ihrem Kind weitere lustige Varianten ein, man kann auch Tiere nachmachen, oder Stimmen imitieren, der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Alles was Spaß macht, ist erlaubt und gut geeignet!

Sie werden feststellen, dass es viel leichter ist, zu lernen, denn viele verschiedene Sinne wurden benutzt, in Bewegung und mit Freude und guten Emotionen. Damit sind wir wieder fast da, wo wir waren, als ihr Kind damals angefangen hat, auf allen vieren die Welt zu entdecken. Viele Sinne werden gebraucht, so entstehen im Gehirn starke Verbindungen und die gelernten Inhalte bleiben erhalten und abrufbar.

Trauen sie sich, festgefahre Strukturen aufzubrechen, es muss nicht immer am Schreibtisch gelernt werden. Es gibt Kinder, die lernen besser auf dem Fußboden im Liegen oder während eines langen Spaziergangs im Wald. Beobachten und fragen sie ihre Tochter, ihren Sohn, wo und wie sie gern lernen. Oftmals wissen Kinder ganz gut, was ihnen guttut, wir Erwachsenen neigen nur leider dazu, zu meinen, es besser zu wissen.

Zum Abschluss möchte ich ihnen nun noch die versprochene Entspannungsübung mitgeben.

Um aus diesen negativen Emotionen, der Stresssituation rauszukommen, müssen wir unser Gehirn überlisten, denn was es nicht gut kann, ist gleichzeitig starke Emotionen (die mit einer Stresssituation ja nun mal einher gehen) empfinden und logisch zu denken. Also können wir unser Gehirn überlisten, indem wir es zwingen logisch zu denken.

Stellen sie sich vor, sie sind in einer solchen Stresssituation, sie merken, klares Denken ist gerad kaum noch möglich.

Nun atmen sie ein paar Mal tief ein und wieder aus. Ganz tief. Und dann fangen sie an, in Gedanken, wenn sie allein sind auch gern laut, zu zählen und gleichzeitig das Alphabet aufzusagen. Also: 1A, 2B, 3C, 4D usw., ziemlich schnell werden sie feststellen, dass die Emotionen nicht mehr im Vordergrund stehen. Nun spulen sie in Gedanken zurück an den Punkt, wo ihre Aufgabe begonnen hat, also was wollten sie eigentlich erzählen, rechnen, aufschreiben o.ä..

Sie werden feststellen, die Informationen sind wieder abrufbar.

Diese Übung können sie gemeinsam mit ihrer Tochter, ihrem Sohn üben, sodass es in der nächsten stressigen Situation ausprobiert werden kann.

Bleiben sie kreativ!

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